Kurzer Lauf eines langen Lebens
Kurzer
Lauf eines inzwischen schon ziemlich langen
Lebens
- Jahrgang 1953
- Aufgewachsen in Kirchdorf, dem damals sehr ländlich
geprägten Teil von Hamburg-Wilhelmsburg; nebenan ein kleiner
Bauernhof, in der Nähe die Hamburger Mülldeponie Georgswerder
(heißt heute "Energieberg")
- 1970 Zwangsumzug nach Winsen (meine Eltern stammten beide
von da und konnten ein Häuschen kaufen)
- Abitur 1972 am Gymnasium Wilhelmsburg, bis dahin
"Fahrschüler", sprich Pendler zwischen Winsen und Wilhelmsburg
- 1973 - 1979 Studium des Höheren Lehramts (Biologie und
Chemie) in Hamburg
- 1979 - 1980 Zivildienst auf Hallig Langeneß bei
Schutzstation Wattenmeer
- Anschließend Referendariat in Hamburg
- 1983 - 2017 Biologie- und Chemie-Lehrer am
Wirtschaftsgymnasium Kieler Straße, zuletzt Berufliche Schule
St. Pauli
- Hinter unserem Wohnhaus in Wilhelmsburg (Schönenfelder
Straße 100; gegenüber der Windmühle, die heute "Johanna" heißt)
war ein klarer, sauberer Graben, mit Fischen darin, mit
Eisvögeln, die danach fischten - ein Graben, in dem ich meine
selbst gebauten Holz-Schiffe schwimmen lassen konnte. Und ich
erinnere mich, wie dieser Graben von Jahr zu Jahr trüber und
schmutziger wurde. Die Erkenntnis, dass die Ursache dafür die
Nutzung als Vorfluter für die Klärgruben der Wohnsiedlung war,
kam naturgemäß erst sehr viel später.
Der "Aschi", wie wir Kinder den Müllberg nannten, fraß sich
stetig weiter in die Niedermoorflächen und die
Ziegeleiteiche vor, und vernichtete den Lebensraum von
Blaukehlchen und Trauerseeschwalben. Als
Mittelstufenschüler fassten wir uns ein Herz und besuchten
zu zweit den Ortsamtsleiter Westphal (bekannt als
zuständiger OAL bei der Flutkatastrophe von 1962), um uns
für die Natur und gegen die weitere Vernichtung dieses
Lebensraums einzusetzen. Und der freundliche Herr Westphal
holte Pläne aus seiner Schublade, um uns zu zeigen, welche
schönen Pläne die Politik für diesen Berg hatte, als
Rodelberg und Freizeitparadies. Die Ursachen für die später
bekannt gewordene Dioxin-Verseuchung konnten wir Kinder
auch hautnah miterleben: Folienwannen im Hausmüll für
chemische Flüssigabfälle; wie wir heute wissen "Mit schönen
Grüßen von der Firma Boehrin...!". Und der freundliche Herr
Westphal meinte, die Vögel hätten doch das wunderbare NSG
Heuckenlock in Wilhelmsburg. Wir Kinder wussten, dass das
NSG Heuckenlock wunderbar ist, aber eben ein tideabhängiger
Auwald und kein Niedermoor mit stehenden Gewässern!
Und so wurde ich irgendwann zum aktiven
Naturschützer.
- Mein Vater musste als siebzehnjähriger Jugendlicher in den
Krieg nach Russland ziehen (heute weiß ich, es war die Ukraine)
und hat den Ratschlag seines Vaters befolgt: Leeber fief
Minuten Angst, as een Leben lang dood - un benimm di
anstännig!
Und mein Opa hat "im Volkssturm", statt eine Brücke zu
sprengen, das weiße Bettlaken für die Engländer
gehisst.
Auf diese Familiengeschichte bin ich stolz und
wurde so zum Kriegsdienstverweigerer.
- Als knapp Achtzehnjähriger in Winsen angekommen, suchte ich
Anschluss, und es gab ein Haus der Jugend:
Eine Jugendstilvilla, tiptop in Ordnung, mit
Parkettfußböden, Bleiglasfenstern, glasierten Dachziegeln -
ein Traumhaus.
Und dann kam der Beschluss des Stadtrats, das Haus für
750.000 DM zu verkaufen, um es zugunsten eines Supermarkts
abreißen zu lassen, der inzwischen seit Jahrzehnten
Geschichte ist. Und so wurde ich
politisch, zunächst bei den Jusos, um als Winsener
Juso-Vorsitzender mit Pauken und Trompeten aus der SPD
auszutreten, wegen zutiefst undemokratischer Strukturen im
Winsener Ortsverein.
- Als Student der Naturwissenschaften begriff ich ziemlich
schnell, dass die Nutzung der Atomenergie zur
Elektrizitätserzeugung ein gefährlicher und aberwitziger Irrweg
ist und wurde Gründungsmitglied der Winsener
Bürgerinitiative gegen die Atomenergie. Ein
eingeschleuster Polizei-Spitzel hatte in Winsen leider Erfolg
mit der Spaltung der Bewegung. Den Hamburger Lehrern war es
übrigens in den 1980er Jahren verboten, auf dem Schulgelände
die Anstecker "Atomkraft? Nein Danke!" zu tragen... Später
haben wir Projektwochen gegen die Atomkraft veranstaltet!
Und ich wurde auch Mitbegründer des Kreisverbands
der Grünen Liste Umweltschutz (später Bündnis 90 / Die
Grünen), um aber kurze Zeit später wieder
auszutreten: Faule Kompromisse sind nichts für
mich!
-
Und
heute?
Heute bin ich ziemlich resigniert.
- Es hat nur noch ein Bruchteil der Vogelarten und der
Schmetterlings- und weiteren Insektenarten meiner Kindheit
überleben können. Den Kindern und Jugendlichen kann man nichts
mehr zeigen von der damaligen Vielfalt.
Und Lehrpläne und Lehrerausbildung sehen das auch gar nicht
mehr wirklich vor.
Aber aus dem pädagogischen Naturschutz weiß ich: Nur was
man kennt, kann und will man auch schützen!
- Der Klimawandel kommt (zu) langsam an, in den meisten
Köpfen. Und die Einsicht, dass wir nur durch massiven Verzicht
unseres Konsums dagegen steuern können, schlägt sich
bestenfalls im Bewusstsein, aber nicht im eigenen Handeln
nieder.
- Und bei dem Umstand, dass wir hier auf der Nordhalbkugel
auf Kosten des globalen Südens leben, ist es genauso!
-
Problemlösungen
wie Abschaffung des Kapitalismus, Schluss mit dem
Wachstumswahn, gerechte globale Verteilung des Reichtums
und Besinnung auf das wirklich Lebensnotwendige sind mit
dieser Menschheit nicht zu machen -
und so wird sie
wohl Teil des globalen Artensterbens!
Einziger Trost
für den Biologen:
Leben wird es
auf diesem wunderbaren Planeten immer geben - nur dass dann
niemand mehr da ist, der dieses Wunderbare wertschätzen und
würdigen kann!!!
Aber meinen
Kindern und Enkelkindern hätte ich eine bessere Zukunft
gewünscht!!!